Dezember fühlt sich für viele wie ein emotionales Beschleunigungsbad an: Lichter, Termine, Rückblicke — und manchmal: Leere. Ich arbeite seit über zehn Jahren mit Menschen, die genau in diesen Wochen auffälliger leiden. Es sind keine dramatischen Einzelfälle, sondern Muster, die sich jedes Jahr wiederholen.
Kurz und klar: Wieso ausgerechnet Dezember?
Mehrere Faktoren treffen zusammen: kürzere Tage, gesellschaftlicher Druck, finanzielle Ausgaben und Jahresbilanz im Kopf. Das Ergebnis ist häufig eine Mischung aus Müdigkeit, Gereiztheit und melancholischer Stimmung — nicht immer klinisch, aber belastend genug, um den Alltag zu verkomplizieren.
Die Mechanik hinter der Stimmung
- Kürzeres Tageslicht stört die innere Uhr (zirkadianer Rhythmus) und erhöht Melatoninproduktion — Sie fühlen sich müder.
- Soziale Verpflichtungen und Erwartungsdruck erzeugen Stress, besonders wenn Ressourcen knapp sind.
- Jahresrückblick kann Sinnfragen wecken: Was lief gut? Was nicht? Für manche wird das zu einer Dominostein-Kette negativer Gedanken.
- Alleinsein wird sichtbarer: Öffentliche Feiern heben den Unterschied zwischen erwarteter und gelebter Realität hervor.

Ein paar Fakten, kurz:
Es gibt die sogenannte saisonal-affektive Störung (SAD), die manchen Menschen deutlich zusetzt; deutlich häufiger sind jedoch milde bis moderate Stimmungseintrübungen im Winter. Lichttherapie, Bewegung und strukturierte Tagesabläufe haben die beste Evidenz gegen winterliche Verstimmungen.
Praktische und sofort umsetzbare Strategien
Ich gebe Ihnen keine Marketingfloskeln, sondern Dinge, die in der Praxis funktionieren — oft in abgespeckter Form.
- Nutzen Sie Morgenlicht: 20–30 Minuten Tageslicht oder eine Lichtlampe am Morgen stabilisieren den Rhythmus. Das ist kein Luxus, sondern Therapie und Prävention.
- Bewegung priorisieren: Ein kurzer Spaziergang vor dem Frühstück verändert Stimmung und Energie mehr als 30 Minuten Scrollen.
- Setzen Sie kleine Ziele: Statt großer Vorsätze besser drei erreichbare Dinge pro Tag — das baut auf.
- Finanz-Check: Legen Sie ein kleines Budget für Geschenkekäufe fest. Klarheit reduziert Stress sofort.
- Sagen Sie öfter Nein: Ein abgesagtes Event kann mehr Raum geben als ein weiterer Abend mit Pflichtlächeln.
- Pflegen Sie „Mini-Rituale“: Kerze, Tee, fünf Minuten Tagebuch — Rituale signalisieren Ihrem Gehirn Sicherheit.
Beispiele aus der Praxis
Eine Patientin aus dem Münchner Kiez kündigte mir: „Ich muss keine perfekte Weihnachten organisieren.“ Wir vereinbarten feste Zeiten für Spaziergänge, reduzierte Geschenke und eine Lichtlampe am Fenster. Zwei Wochen später klang sie weniger erschöpft. Kleine Eingriffe, große Wirkung.

Was Arbeitgeber und Kollegen konkret tun können
- Flexiblere Arbeitszeiten im Dezember: Morgen- statt Abendarbeit kann enorm helfen.
- Klare Prioritäten statt Überstunden-Ettikette: Weniger Meetings, dafür fokussiert arbeiten.
- Angebote zur mentalen Unterstützung sichtbar machen — Betriebsarzt, Coaching, TelefonSeelsorge.
Wann Sie professionelle Hilfe suchen sollten
Wenn Erschöpfung, Schlafstörungen oder Hoffnungslosigkeit länger als zwei Wochen andauern oder sich verschlimmern, zögern Sie nicht, ärztliche Hilfe oder psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen. Frühzeitiges Handeln ist oft der beste Schutz.
Dezember muss nicht zur Belastungsprobe werden. Mit Klarheit, kleinen Ritualen und der Bereitschaft, Grenzen zu setzen, lassen sich die Wochen deutlich besser gestalten. Ich habe genug Fälle gesehen, in denen diese Schritte wirkten — und genauso genug, in denen Ignorieren die Lage verschlechterte.
Was hilft Ihnen in dunklen Wochen? Teilen Sie Ihre Strategien oder Fragen — und nehmen Sie etwas Licht mit in den Tag.
